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Hass keimt im fruchtbaren Boden des Lebens.

Altes Sprichwort

 

 

Das Nicht-Schiff hatte den Tumult auf dem Planeten Qelso hinter sich gelassen, zusammen mit einem Teil seiner bisherigen Passagiere, seiner Hoffnungen und Möglichkeiten. Auf dieser Welt war Duncan ein großes Risiko eingegangen, als er es gewagt hatte, zum ersten Mal seit Jahrzehnten das Nicht-Schiff zu verlassen. Hatte er damit seine Anwesenheit verraten? Würde der Feind ihn jetzt aufspüren können, indem er dieser Spur folgte? Es war durchaus möglich.

Obwohl er beschlossen hatte, sich nicht mehr zu ducken und zu verstecken, hatte Duncan nicht die Absicht, all die unschuldigen Menschen auf diesem Planeten der Gefahr der Vernichtung auszusetzen. Er wollte einen weiteren Sprung durchführen, um seine Spuren zu verwischen. Also stürzte sich die Ithaka erneut ungerichtet durch den gefalteten Raum.

Das war vor drei Monaten gewesen.

Durch ein dickes Plazfenster hatte Scytale beobachtet, wie Quelso schrumpfte und dann plötzlich im Nichts verschwand. Man hatte ihm nicht erlaubt, das Schiff zu verlassen. Nach dem, was er gesehen hatte, wäre der Planet gut als neue Heimat für ihn geeignet gewesen, trotz der sich ausbreitenden Wüste.

Obwohl er wieder über seine Erinnerungen verfügte, stellte Scytale fest, dass ein Teil von ihm seinen Vater vermisste, seinen Vorgänger, sich selbst. Sein Geist enthielt nun alles, was er brauchte. Aber er wollte mehr.

Mit dem neuen Körper hatte der Tleilaxu-Meister ein weiteres Jahrhundert vor sich, bevor die genetischen Fehler sich potenzierten und der Körper allmählich versagte. Genug Zeit, um viele Probleme zu lösen. Aber wenn weitere hundert Jahre vergangen waren, wäre er immer noch der letzte Tleilaxu-Meister, der einzige noch übrig gebliebene Bewahrer des Großen Glaubens. Es sei denn, er konnte die Zellen des Meisterrats benutzen, die sich noch in seiner Nullentropie-Kapsel befanden. Vielleicht würden die Hexen ihm eines Tages erlauben, die Axolotl-Tanks zu dem Zweck einzusetzen, für den die Tleilaxu sie ursprünglich vorgesehen hatten.

Vor drei Monaten hatte er sich mit der Frage gequält, ob er sich auf Qelso niederlassen und eine neue Heimat für die Tleilaxu begründen sollte. Wäre er in der Lage, die nötigen Labors und die Ausrüstung zu bauen? Unter den dort lebenden Menschen Helfer zu rekrutieren? Hätte er sich auf ein solches Glücksspiel einlassen sollen? Der junge Scytale hatte die Schriften studiert, lange und intensiv meditiert und schließlich entschieden, nicht auf dem Planeten zu bleiben – genauso wie der Rabbi. Auf Qelso war es unwahrscheinlich, dass er jemals Zugang zur Axolotl-Technik erhielt, die er benötigte. Seine Entscheidung war absolut logisch.

Die Not und Wut des Rabbi war jedoch nicht so leicht zu erklären. Niemand hatte ihn zu seiner Entscheidung gezwungen. Seit das Schiff den Planeten mit den neuen Wüsten verlassen hatte, war der alte Mann in den Korridoren hin und her gelaufen und versprühte Dissens, als wäre es Gift. An Bord war er der einzige Vertreter seines Volkes. Genauso wie Scytale.

Der alt gewordene Geistliche aß zusammen mit den anderen Flüchtlingen und murrte, wie schlecht er behandelt wurde und wie schwierig es für sein Volk sein musste, ohne seine Führung ein neues Zion zu gründen. Garimis konservative Fraktion, der man der Zutritt zum Planeten unter Androhung von Gewalt verweigert hatte, zeigte keinerlei Mitleid mit seinem Kummer.

Scytale, der das alles beobachtete, gelangte zur Schlussfolgerung, dass der Rabbi zu jener Sorte Menschen gehörte, die stets anderen die Schuld gaben, um sich selbst als Märtyrer darstellen zu können. Da er den Axolotl-Tank, der einst Rebecca gewesen war, nicht im Stich lassen wollte, konnte er sich an seinen Hass auf die Bene Gesserit klammern und sie verantwortlich machen, statt sich einzugestehen, dass er selbst unklug entschieden hatte.

Scytale fand, dass an Bord zweifellos eine Menge Hass brodelte.

 

* * *

 

In seinem Privatquartier musterte Wellington Yueh sein Spiegelbild – das blasse Antlitz, die dunklen Lippen, das spitze Kinn. Das schmale Gesicht war jünger als in seiner Erinnerung, aber durchaus wiedererkennbar. Seit sein Gedächtnis erweckt worden war, hatte er das schwarze Haar wachsen lassen, bis es lang genug war, um es mit einem behelfsmäßigen Suk-Ring zusammenzubinden.

Dennoch fühlte er sich immer noch nicht mit sich selbst identisch. Ihm stand ein weiterer bedeutender Schritt bevor.

In der Hand hielt er einen Schreibstift mit unauslöschlicher dunkler Tinte, die dauerhafte Spuren hinterlassen würde. Es war nicht dasselbe wie eine Tätowierung und auch nicht mit einem Implantat oder einer imperialen Tiefenkonditionierung verbunden, aber vorläufig würde es genügen. Seine Hände waren ruhig und zogen saubere Linien.

Ich bin ein Suk-Arzt, ein Chirurg. Ich kann ein einfaches geometrisches Muster zeichnen.

Ein Karo mitten auf seiner Stirn. Ohne das geringste Zögern fügte er einen weiteren Strich hinzu, verband die Linien und füllte die Hautfläche aus. Als er fertig war, musterte er das Ergebnis. Wellington Yueh blickte ihm aus dem Spiegel entgegen, der Suk-Doktor und Leibarzt des Hauses Vernius und anschließend des Hauses Atreides.

Der Verräter.

Er legte den Stift weg, kleidete sich in einen sauberen Arztkittel und machte sich auf den Weg in die medizinische Abteilung. Wie der alte Rabbi war auch er genauso qualifiziert wie jede Bene-Gesserit-Ärztin, Patienten zu behandeln und sich um die Axolotl-Tanks zu kümmern.

Seit kurzem züchtete Sheeana im Rahmen ihres Programms einen neuen Ghola aus Zellen in der Nullentropie-Kapsel des Tleilaxu-Meisters heran. Nachdem Stilgar und Liet-Kynes sie verlassen hatten, empfand sie diesen Schritt als gerechtfertigt. Sie schob Sicherheitsgründe vor und weigerte sich, die Identität des Kindes zu offenbaren, das im Axolotl-Tank heranwuchs.

Die Bene Gesserit behaupteten weiterhin, die Gholas zu brauchen, obwohl sie keinen genauen Grund dafür angeben konnten. Trotz ihrer Erfolge bei der Erweckung der Lebenserinnerungen Yuehs, Stilgars und Liet-Kynes' hatten sie bei den anderen Gholas noch nichts erreicht. Einige der Hexen, vor allem Proctor Superior Garimi, hatten weiterhin große Bedenken, die Persönlichkeiten von Jessica und Leto II. wiederzuerwecken, weil sie sich Sorgen wegen der Verbrechen machten, die sie in ihren früheren Leben begangen hatten. Also hatten sie versucht, als Nächsten Thufir Hawat zu erwecken.

Yueh wusste nicht, was die Hexen angestellt hatten, um Hawats Widerstand zu brechen, aber dieser Versuch war ein kompletter Fehlschlag gewesen. Hawat hatte sich nicht erinnert, sondern war in krampfhafte Zuckungen verfallen. Der alte Rabbi war dabei gewesen und hatte sich sofort um den siebzehnjährigen Ghola gekümmert, die Schwestern beiseite gedrängt und sie beschimpft, weil sie bedenkenlos ein so hohes Risiko eingegangen waren.

Yueh jedoch hatte sein altes Wissen bereits wiedergewonnen, genauso wie Scytale. Er war jetzt kein Kind mehr. Er wartete nicht mehr darauf, zu etwas zu werden. Eines Tages hatte er all seinen Mut zusammengenommen und Sheeana angefleht, ihn arbeiten zu lassen. »Ihr Hexen habt mich gezwungen, mich an mein altes Leben zu erinnern. Ich habe euch gebeten, es nicht zu tun, aber ihr habt mich trotzdem erweckt. Nun habe ich nicht nur meine Erinnerungen und meine Schuldgefühle zurückbekommen, sondern auch ein paar nützliche Fähigkeiten. Lasst mich wieder als Suk-Arzt tätig werden.«

Zunächst war er sich nicht sicher gewesen, ob sich die Bene Gesserit einverstanden erklären würden, vor allem in Anbetracht der ständigen Bedrohung, die der unbekannte Saboteur darstellte – aber als Garimi wie selbstverständlich Einspruch einlegte, entschied Sheeana, ihn zu unterstützen. Man erteilte ihm die Erlaubnis, sich frei in der medizinischen Abteilung zu bewegen, solange er überwacht wurde.

Am Eingang zum Raum mit den Axolotl-Tanks wurde Yueh sorgfältig von zwei Wächterinnen überprüft, die ihn schließlich durchwinkten. Keine machte eine Bemerkung wegen des neuen karoförmigen Flecks auf seiner Stirn. Er fragte sich, ob sie überhaupt wussten, was dieses Zeichen einst symbolisiert hatte.

In nachdenklichem Schweigen inspizierte Yueh nacheinander die gesunden Axolotl-Tanks. Mehrere produzierten Melange für die Schiffsvorräte, doch einer war offensichtlich schwanger. Dieses namenlose Ghola-Baby würde unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen heranreifen. Yueh war überzeugt, dass das Kind kein neuer Versuch sein würde, Gurney Halleck, Xavier Harkonnen oder Serena Butler wiederauferstehen zu lassen. Es war bestimmt auch kein Duplikat von Liet-Kynes oder Stilgar. Nein, Sheeana würde es mit jemand anderem probieren – jemand, von dem sie glaubte, dass er oder sie der Ithaka eine große Hilfe sein konnte.

Da er Sheeanas ungestüme Art kannte, hatte Yueh bereits einen besorgniserregenden Verdacht, wer das Baby sein könnte. Die Schwestern waren nicht vor schlechten Entscheidungen gefeit (wie sie bewiesen hatten, als sie ihn wiederbelebt hatten). Er glaubte nicht daran, dass irgendeine der Frauen sich vorstellte, er könnte ein Held oder großer Retter sein, und doch war er das Ergebnis eines ihrer ersten Experimente gewesen. Vor diesem Hintergrund war es durchaus möglich, dass die Hexen verruchte Persönlichkeiten von den dunklen Blättern des Geschichtsbuchs studieren wollten. Vielleicht Imperator Shaddam? Graf Fenring? Die Bestie Rabban? Oder gar der verhasste Baron Harkonnen höchstpersönlich? Im Geist hörte Yueh bereit Sheeanas Rechtfertigungen. Sie würde zweifellos darauf pochen, dass selbst die schlimmsten Menschen das Potenzial besaßen, unschätzbare Informationen zu liefern.

Welche Schlangen werden sie unter uns freilassen?, fragte er sich.

Im Ärztezimmer der medizinischen Abteilung fand er den alten Rabbi, der murrend ein paar Sachen in einen Koffer packte. Seit er sich geweigert hatte, mit seinem Volk auf Qelso zu bleiben, hielt er sich stundenlang in der Nähe des Axolotl-Tanks auf, den er Rebecca nannte. Obwohl er tiefe Verachtung für das empfand, was man aus ihr gemacht hatte, schien er erleichtert zu sein, dass sie nicht diejenige gewesen war, der man den neuen Ghola eingepflanzt hatte.

Die Schwestern wollten vermeiden, dass er sich zu lange mit den Axolotl-Tanks beschäftigte, und wiesen ihm immer neue Aufgaben zu, damit er etwas Sinnvolles zu tun hatte. »Ich werde mit Scytale eine Reihe von Tests durchführen«, brummte der alte Mann und wollte sich vor Yueh und aus dem Ärztezimmer zurückziehen. »Sheeana möchte, dass er genau untersucht wird – schon wieder.«

»Das kann ich für Sie erledigen, Rabbi. Ich habe hier nur wenig zu tun.«

»Nein. Den Tleilaxu mit Nadelstichen zu quälen, ist eine der wenigen Freuden, die mir noch geblieben sind.« Sein Blick richtete sich auf Yuehs neues Suk-Zeichen, aber er sagte nichts dazu. »Aber Sie könnten mich begleiten.« Der Rabbi nahm Yuehs Arm mit festem Griff und führte ihn auf den Korridor hinaus, fort von den lauernden Bene Gesserit. Als sie weit genug entfernt waren, um sich sicher zu fühlen, beugte sich der alte Mann näher an ihn heran und flüsterte in verschwörerischem Tonfall. »Ich bin fest davon überzeugt, dass Scytale der Saboteur ist, obwohl ich noch keine konkreten Beweise gefunden habe. Zuerst der alte und nun sein neuer Ghola. Sie sind alle gleich. Nachdem sein Gedächtnis erweckt wurde, setzt der junge Scytale sein heimtückisches Zerstörungswerk im Schiff fort. Kann man einem Tleilaxu trauen?«

Wem kann man überhaupt trauen?, dachte Yueh. »Warum sollte er dem Schiff Schaden zufügen wollen?«

»Wir wissen, dass er finstere Pläne verfolgt. Warum hat er Zellen von Gestaltwandlern in seiner Nullentropie-Kapsel gelagert, neben all den anderen – einschließlich Ihnen. Was könnte er damit im Sinn haben? Klingt das nicht schon verdächtig genug?«

»Diese Zellen wurden von Sheeana konfisziert und an einem sicheren Ort verwahrt. Niemand hat Zugang dazu.«

»Können wir uns dessen wirklich sicher sein? Vielleicht will er uns alle töten, damit er sich eine eigene Armee von Gestaltwandlern heranzüchten kann.« Der Rabbi schüttelte den Kopf. Hinter den Brillengläsern glühten seine geröteten Augen vor Zorn. »Und das ist noch nicht alles. Die Hexen spinnen ihre eigenen Intrigen. Was glauben Sie, warum sie die Identität des neuen Ghola-Babys nicht offenbaren wollen? Wahrscheinlich weiß nicht einmal Duncan Idaho, wer in diesem Tank heranwächst.« Er verrenkte den Hals und blickte sich zur medizinischen Abteilung um, offensichtlich auf der Suche nach Überwachungskameras. »Aber Sie könnten es herausfinden.«

Yueh war verblüfft und neugierig zugleich, aber er verriet dem Rabbi nicht, dass ihm ganz ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen waren. »Wie? Auch mir werden sie es nicht sagen.«

»Aber Sie werden nicht so intensiv überwacht wie ich! Die Hexen befürchten, ich könnte ihr Zuchtprogramm sabotieren, aber nachdem Sie jetzt wieder über Ihre Erinnerungen verfügen, sind Sie ihr vertrauenswürdiger kleiner Ghola.« Der Rabbi steckte ihm eine kleine versiegelte Polymerscheibe zu. Genau in der Mitte war eine hauchdünne Probe einer Substanz aufgetragen worden. »Sie haben Zugang zu den Untersuchungsgeräten. Das ist eine Zellprobe vom schwangeren Tank da drinnen. Niemand hat gesehen, wie ich sie entnommen habe, aber ich wage es nicht, die Analyse selbst durchzuführen.«

Yueh ließ die Scheibe verstohlen in einer Tasche verschwinden. »Will ich es wirklich wissen?«

»Können Sie es sich leisten, unwissend zu bleiben? Ich überlasse Ihnen die Entscheidung.« Der Rabbi entfernte sich murmelnd. Mit seinem Arztkoffer machte er sich auf den Weg zur Kabine des Tleilaxu.

Die Probe wog schwer in Yuehs Tasche. Warum wollten die Schwestern die Identität des neuen Gholas geheimhalten? Was führten sie im Schilde?

Es dauerte mehrere Stunden, bis er die Gelegenheit hatte, sich in eins der kleinen Labors des Nicht-Schiffes zu schleichen. Als Suk-Arzt war es ihm erlaubt, diese Räume jederzeit zu benutzen. Trotzdem arbeitete er so schnell wie möglich und ließ die DNS der Probe aus dem Axolotl-Tank entschlüsseln. Dann verglich er die Sequenzen mit den Identifikationsdaten, die vor Jahren ermittelt worden waren, als die Schwestern erstmals das Material aus Scytales Nullentropie-Kapsel untersucht hatten.

Yueh fand recht schnell den passenden Datensatz, und als er die Antwort hatte, zuckte er erschrocken zusammen. »Unmöglich! Wie können sie es wagen?« Doch als er an die Qualen dachte, die Sheeana ihm zugefügt hatte, um seine Erinnerungen zu wecken, stand für ihn fest, dass die Schwestern zu allem bereit waren. Jetzt verstand er auch, warum sich Sheeana geweigert hatte, die Identität des Gholas bekannt zu geben.

Trotzdem ergab es keinen Sinn. Die Schwestern hätten zahlreiche andere Möglichkeiten gehabt. Bessere. Warum unternahmen sie keinen zweiten Versuch, Gurney Halleck wiederzubeleben? Oder Ghanima, als Gefährtin für den armen Leto II.? Zu welchem Zweck wollten sie ausgerechnet – ihn schauderte – Piter de Vries zurückholen?

Die Antwort lag auf der Hand. Die Bene Gesserit hantierten gern mit gefährlichem Spielzeug. Sie ließen Menschen aus der Vergangenheit wiederauferstehen, damit sie sie als Schachfiguren in ihrem großen Spiel benutzen konnten. Er wusste, welche Art von Fragen sie beschäftigten, welche Art von Antworten ihre infernalische Neugier befriedigen würde. War der genetische Bauplan von Piter de Vries korrupt, oder war er böse geworden, weil die Tleilaxu ihn zum verderbten Mentaten gemacht hatten? Wer würde besser wie der Feind denken können als ein Harkonnen? Gab es Hinweise, dass sich ein neuer Piter de Vries ebenfalls zum Schurken entwickeln würde, auch wenn er nicht dem schädlichen Einfluss des Barons ausgesetzt war?

Er konnte sich Sheeana vorstellen, wie sie ihn herablassend mit gerunzelter Stirn betrachtete. »Wir brauchen einen weiteren Mentaten. Gerade du, Wellington Yueh, solltest einem Ghola nicht die Verbrechen vorhalten, die er in seinem früheren Leben begangen hat.«

Er konnte es immer noch nicht glauben. Er presste die Augenlider fest zusammen, und er hatte sogar den Eindruck, dass die falsche Suk-Tätowierung auf seiner Stirn zu brennen schien. Er erinnerte sich, wie man ihn gezwungen hatte, Wannas endlose Qualen unter der Folter durch die Hände des bösen Mentaten zu beobachten. Und wie der Mann ihm ein Messer tief in den Rücken gestoßen und die Klinge in der Wunde gedreht hatte. Piter de Vries!

Er spürte immer noch den scharfen Stahl, der in seine Organe drang, die tödliche Verletzung, eine der letzten Erinnerungen seines ersten Lebens. Piters Lachen hallte in seinem Gedächtnis nach, zusammen mit den Schreien Wannas in der Folterkammer ... und Yueh war nicht in der Lage gewesen, ihr zu helfen.

Piter de Vries?

Yueh schwindelte. Er war kaum imstande, diese Information zu verarbeiten. Er durfte nicht zulassen, dass ein solches Monstrum wiedergeboren wurde.

 

* * *

 

Tage später betrat Yueh die medizinische Abteilung und ging zum schwangeren Tank. Im Moment war es noch ein unschuldiges Baby. Selbst wenn es sich um de Vries handelte, hatte dieses Ghola-Kind noch kein einziges Verbrechen begangen.

Aber er wird sie begehen! Er ist verderbt, bösartig! Die Schwestern würden ihn großziehen und irgendwann seine Erinnerungen wecken. Dann wäre er wieder da!

Doch Yueh hatte sich in seine eigene Logik verstrickt. Wenn der Ghola von Piter – genauso wie alle Gholas – niemals seinem vorherbestimmten Schicksal entgehen konnte, würde dann nicht dasselbe für Yueh gelten? War deshalb auch Yueh dazu verdammt, erneut zum Verräter zu werden? Würden sie alle ein weiteres Mal schreckliche Fehler begehen? Oder musste er alles dafür tun, sich notfalls opfern, um einen Fehler zu verhindern? Er hatte überlegt, ob er mit Jessica darüber reden sollte, sich aber dagegen entschieden. Dies war seine Aufgabe, seine Entscheidung.

Er hatte die Probe, die der Rabbi besorgt hatte, ganz allein untersucht und das Ergebnis gesehen. Jetzt musste er ganz allein handeln. Obwohl er ein Suk-Arzt war, dazu ausgebildet und darauf konditioniert, Leben zu bewahren, war es manchmal nötig, ein Monster zu töten, um viele Unschuldige zu retten.

Piter de Vries!

Schon beim ersten Mal war er indirekt für den Tod von de Vries verantwortlich gewesen, als er Herzog Leto mit dem Giftzahn präpariert hatte. Dieser hatte ihn in Anwesenheit des Mentaten zerbissen und das tödliche Gas freigesetzt. Yueh hatte in so vielen Dingen versagt, er hatte unglaublich viel Schmerz und Enttäuschung auf dem Gewissen. Selbst Wanna hätte verabscheut, was er sich selbst und den Atreides angetan hatte.

Nun jedoch hatte er ein zweites Leben, eine zweite Chance. Wellington Yueh hatte die Möglichkeit, etwas wiedergutzumachen. Angeblich sollte jedes der wiederbelebten Ghola-Kinder einen wichtigen Zweck erfüllen. Er war davon überzeugt, dass dies seine Aufgabe war.

Das selbstgemachte schwarze Karozeichen auf seiner Stirn erschwerte die Last, als Yueh mit einer Entscheidung rang. Er konnte sich genau daran erinnern, wie er zum Suk-Arzt geworden war, als er die komplette Prozedur der imperialen Konditionierung in der Inneren Schule durchlaufen und den offiziellen Eid abgelegt hatte. »Ein Suk soll kein menschliches Leben nehmen.«

Dennoch war Yuehs Prägung unterlaufen worden, was er den Harkonnens zu verdanken hatte. Vor allem Piter de Vries. Welche Ironie, dass die Brechung seines Suk-Eides ihm nun erlaubte, genau den Mann zu vernichten, der diese Konditionierung gebrochen hatte! Jetzt hatte er die Freiheit, ihn zu töten.

Yueh trug das Instrument des Todes bereits in einer Tasche seines Arztkittels bei sich. Sein Plan stand, und er würde kein Risiko eingehen. Da die medizinische Abteilung und die Axolotl-Tanks lückenlos mit Kameras überwacht wurden, konnte Yueh sein Tun nicht verbergen, wie es der wahre Saboteur getan hatte. Wenn er handelte, würde jeder an Bord der Ithaka wissen, wer den Ghola von de Vries getötet hatte. Und er würde sich den Konsequenzen stellen.

Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, als er den Raum durchquerte. Wenn er von den scharfäugigen Bene-Gesserit-Wachen beobachtet wurde, konnte er sich keine Verzögerung erlauben. Sonst würden die verfluchten Hexen seine Unsicherheit oder seine nervösen Bewegungen bemerken. Yueh zog das Instrument hervor und drehte an der Skala, als wollte er es rekalibrieren, dann schob er die Sonde in den schwangeren Tank, als wollte er eine Zellprobe entnehmen. Auf diese Weise konnte er ohne Schwierigkeiten die tödliche Dosis eines schnell wirkenden Giftes injizieren. Bis jetzt hatte noch niemand Verdacht geschöpft.

So. Geschafft. Es passte zu de Vries, der ein äußerst geschickter Giftmischer gewesen war. Und für dieses Toxin gab es kein Gegenmittel. Darauf hatte Yueh bei der Vorbereitung geachtet. Innerhalb weniger Stunden würde der Embryo von de Vries schrumpfen und absterben. Bedauerlicherweise auch der Tank. Aber das ließ sich nicht vermeiden. Ein notwendiges Opfer.

Als er den Raum verließ, lächelte er grimmig und ging mit schnelleren Schritten. Spätestens morgen würde alles ans Licht kommen. Thufir Hawat und Bashar Miles Teg würden sich die Holos der Überwachungskameras ansehen und die Wachen befragen. Sie würden sehr schnell erfahren, wer der Täter war. Im Gegensatz zum wahren Saboteur konnte er die Bilder nicht löschen. Man würde ihn fassen.

Trotz dieses Wissens fühlte sich Yueh zum ersten Mal seit seiner Wiedererweckung zufrieden mit sich selbst. Endlich konnte er den flüchtigen Geschmack der Erlösung kosten.

Dune 08 - Die Erlöser des Wüstenplaneten
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